JAZZ
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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
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Tord Gustavsen Q u a rte t
EXTENDED CIRCLE
E C M /U n iv e rs a l CD
(51')
Wenn es einen Künstler gibt, des-
sen Musik eine Entsprechung der
einsamen nordnorwegischen Tund-
ralandschaft bildet, dann ist das
Tord Gustavsen. Auch auf „Exten-
ded Cercle“ - mittlerweile sein
sechstes ECM-Album - bleibt sich
der 43-jährige Pianist aus Oslo
m usikalisch treu: Feinausbalan-
cierte Klänge zwischen Erik Satie,
Blues und Folklore werden mit viel
Raum zum Nachklingen platziert,
die Melodik ist schlicht, die Harmo-
nik dreiklangsbasiert. Gustavsens
musikalische Mitstreiter sind der
Saxofonist Tore Brunborg, der unter
anderen in Arild Andersens Quintett
Masqualero spielte, Mats Eilertsen,
Nils Landgren
ETERNAL BEAUTY
A C T /E d e l CD (a u c h a ls LP e rh ä ltlic h )
(5 6 ')
Es war mal wieder fällig: ein neues
Balladenalbum des singenden Po-
saunisten Nils Landgren. Der ist nach
wie vor kein begnadeter Sänger, aber
sein sanft raues Organ vermag woh-
lig-melancholische Stimmung zu er-
zeugen - und zu halten. Gleichwohl
ist man dankbar, wenn der Schwede
zwischendurch zur Posaune greift.
Eine handverlesene Combo aus La-
bel-Kollegen der Spitzenklasse (Mi-
chael Wollny u. a.) begleitet ihn ein-
fühlsam und geschmackvoll durch
entschleunigte Popsongs und klug
gewählte Jazznummern sowie die
ein oder andere Reverenz an den ge-
storbenen Esbjörn Svensson, dessen
„Love Is Real“ längst zum Label-Hit
avanciert ist.
klm
der ehemalige Bassist von Kenny
Wheeler und Pat Metheny, sowie
Jarle Vespstad am Schlagzeug, der
bereits seit vielen Jahren regelmä-
ßig mit dem norwegischen Pianis-
ten zusammenarbeitet.
Mittlerweile hat das Quartett zu
einer Qualität des Zusammenspiels
gefunden, die ihresgleichen sucht.
Jeder ahnt voraus, in welche Rich-
tung der andere sich musikalisch
hinbewegen möchte, und agiert
dementsprechend. Dabei ist die Mu-
sik sehr konzentriert: Wo manch
andere Musiker Kaskaden von Tö-
nen produzieren, um etwas aus-
zudrücken, benötigen Gustavsen
und seine Partner manchmal nur ein
oder zwei Klänge, die einen eigenen
Mikrokosmos generieren. Bis auf
das norwegische Volkslied „Eg Veit
I Himmerik Ei Borg“ (zu Deutsch:
Ich kenne ein Schloss im Himmel),
dem energetischen Höhepunkt des
Albums, sind alle Stücke meditativ
geprägte Kompositionen der Quar-
tettmitglieder, häufig inspiriert von
geistlicher Chormusik („Devotion“)
oder vom Gospel („Staying There“).
Mario-Felix Vogt
MUSIK ★
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KLANG ★
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Jarle Vespestad, Tore Brunborg, Tord
Gustavsen, Mats Eilertsen (v.l.n.r.)
Christoph S tiefel
Inner Language Trio
BIG SHIP
B a s h o /R o u g h T ra d e CD
(6 3 ')
Drei rauchende Schlote signalisie-
ren: Volldampf voraus! Mit entspre-
chendem Druck geht der Dreier des
schweizerischen Pianisten Chris-
toph Stiefel gleich in die Vollen,
schlägt im Verlauf aber auch leise-
re Töne an - als wolle er sich beim
Wort nehmen und auf seine „Inner
Language“ horchen, die Interak-
tion in der Gruppe. Lange hat Stie-
fel an einer Verzahnung verschie-
den getakteter rhythmischer und
melodischer Patterns (Isorhythmik)
gearbeitet, doch das Konzept tritt
hier in den Hintergrund. Die Musik
bleibt rhythmisch stark, mit Moti-
ven aus wuchtigen Akkorden, aber
auch balladesken Momenten.
klm
Mu sik ★
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k-*
MUSIK ★
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Der Titel „Weltentraum“ spielt auf
MUSIK ★
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KLANG ★ ★ ★ ★ V
KLANG ★
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Gustav Mahlers „Natursinfonie“ (Nr.
KLANG ★ ★ ★ ★ V
M ichael W o lln y Trio
WELTENTRAUM
A C T /E d e l CD (a u c h a ls LP e rh ä ltlic h )
(5 7 ')
„God is a DJ, life is a dance floor“
- die Worte der Pop-Ikone P!nk auf
einem Jazzalbum. Nun gehört es ja
zum guten Ton, dass ein Pianotrio
auch mal einen Song von Björk oder
Radiohead bearbeitet und so signa-
lisiert: Wir sind von heute. Micha-
el Wollny, führender Pianist seiner
Generation hier im Lande, schlägt
den Bogen aber weiter. Schon auf
„Wasted & Wanted“, dem letzten
Album seines Trios [em], misch-
ten sich Schubert und Mahler, Be-
rio und Kraftwerk unter Selbstge-
schriebenes. Im jetzt umformier-
ten Trio - [em]-Bassistin Eva Kuse
weilt im Mutterschaftsurlaub - wird
der Griff in verschiedenste Schatz-
kästlein der Musikgeschichte (nicht
Jazzgeschichte!) zum Prinzip.
Norm a W instone
DANCE WITHOUT ANSW ER'
E C M /U n iv e rs a l CD
(6 2 ')
Stimme, Horn, Klavier - für Norma
Winstone das ideale Setting, er-
probt und ausgereift im Trio Azi-
muth (1977-1985), zu neuer Blüte
gebracht mit ihren heutigen Part-
nern Klaus Gesing und Glauco Ver-
nier. Vernier vertont lyrische Tex-
te, Winstone vertextet moderne
Jazz-Instrumentals (von Gesing
und Ralph Towner). Hinzu kommen
Songs - ob von Madonna oder der
„Muppet Show“, liebend gern auch
aus Filmen - , die unter den Händen
dieses kammermusikalischen Trios
wie neu entstehen. Das Nonplusult-
ra an Reduktion und Neuinterpre-
tation stellt Tom Waits’ „San Diego
Serenade“ dar: eine Stimme, eine
Bassklarinette, Punkt.
klm
MUSIK ★
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KLANG ★ ★ ★ ★ V
3,
d-Moll) an, und mit einem Mah-
ler-Zitat, Nietzsche oder frühem Al-
ban Berg schaut Wollny sich noch
weiter in der Spätromantik um. Er
bedient sich bei Neutönern des 14.
(Guillaume de Machaut) und des
20. Jahrhunderts (Varese, Hinde-
mith), bei Alternative Rock (The Fla-
ming Lips), einem amerikanischen
Kultfilm („Eraserhead“) oder einem
deutschen Volkslied („Mühlrad“).
Doch woher die Musik auch
stammt, sie lässt immer die Offen-
heit, Präzision und Spannung spü-
ren, die zwischen Wollny und sei-
nen Partnern herrscht. Neuzugang
Tim Lefebvre, einer der gefragtes-
ten Bassisten zwischen Jazz und
Funk, gibt dem umformierten Trio
zusätzlichen Druck. Zusammen mit
Eric Schaefer liefert er eine flexib-
le, stets sichere Grundierung für
Wollnys quirliges Klavier. „God Is A
DJ“ zählt zu den Höhepunkten, von
Gastvokalist Theo Bleckmann inter-
pretiert in einer knapp neunminüti-
gen „Low speed“-Version mit Ober-
tongesang und elektronisch gene-
riertem Bordun-Ton.
Berthold Klostermann
136 STEREO 3/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht